Am Ende ist man einer Menge bedauernswerter Seelen begegnet

„Andrea läßt sich scheiden“ von Josef Hader

von Renate Wagner

Andrea läßt sich scheiden
Österreich 2024

Drehbuch und Regie: Josef Hader
Mit: Birgit Minichmayr. Josef Hader, Robert Stadlober, Branko Samarovski u.a.
 
Josef Hader weiß es selbst und hat es auch in einem Interview gesagt: „Ein zweiter Film ist immer was Schwieriges.“ Vor allem, wenn der erste ganz „eigene“ Film („Wilde Maus“ 2017) so gelungen war. Dagegen wirkt „ Andrea läßt sich scheiden“ tatsächlich etwas dröge – der Lebendigkeit der „Maus“ folgt die Leblosigkeit der Andrea. Weil man nicht genau weiß, was Hader eigentlich erzählen will. Eine moralische Geschichte? Ein „Sittenbild“ vom langsamen Leben „auf dem Land“? Die Geschichte einer Frau, die man nicht so recht in den Griff bekommt?
 
Sie heißt Andrea und ist Polizistin irgendwo im Weinviertel. In der Welt der dortigen Straßendörfer hat Josef Hader seinen Film angesiedelt und gedreht und demonstriert Verliebtheit in Landschaft und Atmosphäre nicht zuletzt in langen Autofahrten. Jeder kennt in dieser Welt jeden, weshalb die Einheimischen sich ärgern, wenn die Polizistin, mit der sie abends im Wirtshaus sitzen, ihnen einen Strafzettel für zu schnelles Fahren verpaßt.
Aber andererseits ist diese Andrea, jeder weiß es, eine arme Haut. Ihr Mann, von dem sie sich scheiden lassen will, akzeptiert die Trennung nicht und belästigt sie nach allen Regeln der Kunst. Daß sie den miesen Kerl nicht wiederhaben möchte, sieht man auch ein. Weibliches Alltagselend, wobei noch ein Vater am Rande der Demenz im Hintergrund lebt. Und beruflich ist der Job im Heimatdorf auch nicht das Gelbe vom Ei. Arme Andrea?
Schwer zu sagen, denn Andrea-Darstellerin Birgit Minichmayr verbirgt sich hinter einer Maske der Undurchdringlichkeit. Man wird bis zum Ende nicht wissen, was in ihr vorgeht, was sie eigentlich fühlt, ob sie etwas bewegt. Einen „Cowboy“, wie Hader sie immer wieder bezeichnet hat, sieht man in ihr eigentlich nicht. Sie scheint durchs Leben zu nachtwandeln. Bis die Katastrophe passiert.
 
Man kann über den Film nicht sprechen / schreiben, wenn man dieses Ereignis nicht spoilert, aber es begibt sich so früh in der Geschichte, daß es keinen Geheimnis-Charakter hat. Andy, ihr Ex, ist von ihr wieder einmal abgewiesen worden, ist zu besoffen, um mit dem Auto zu fahren, torkelt auf der nächtlich dunklen Landstraße dahin. Und es ist ausgerechnet Andrea, die ihn unabsichtlich überfährt. Und die, sobald sie sieht, was geschehen ist, einfach weiterfährt, Die Delle am Wagen wird sie am nächsten Tag unter der Hand bei einem alten Bekannten richten zu lassen.
Nun könnte ein Krimi beginnen, möglicherweise ein wenig „Schuld und Sühne“, aber der Film von Josef Hader (der auch gemeinsam mit Florian Kloibhofer das Drehbuch schrieb) verliert seine Ruhe nicht. Andrea läßt die Dinge auf sich zukommen, seltsam unbewegt und unbeweglich, als ginge das alles sie nichts an. Und siehe da – noch ein zweites Auto hat den Toten auf der Straße angefahren, und der Täter, ein Religionslehrer namens Franz Leitner, trockener Alkoholiker, fühlt sich sofort vollinhaltlich schuldig. Zelebriert diese Schuld geradezu. Man weiß nicht, ob man als Kinobesucher nun mit Andrea erleichtert sein soll, weil der Kelch offenbar an ihr vorübergeht?
Immerhin wird die Geschichte bei aller Langsamkeit, fast Behäbigkeit, die sie beibehält, etwas trickreicher. Bis das Endergebnis dann doch überrascht. Und dennoch… so wirklich psychologisch fundiert kommt es einem nicht vor. Warum… aber das soll man sich ansehen.
 
Bleiben Drehbuch und Regie wohl doch ihren Nukleus schuldig, die Darsteller tun es nicht – selbst die enigmatische Minichmayr hat für den Zuschauer ein Reizpotential. Josef Hader selbst genießt die irisierende Verzweiflung des trockenen Alkoholikers, der in Seelennöten zum Suff zurück findet. Als grausam-laute Partnerin in einer nächtlichen Szene in einer Bar ist ihm Maria Hofstätter beigestellt. Thomas Stipsits überzeugt als der beinahe Ex-Gatte Andy (auf Wienerisch würde man ihn als „Kretzn“ bezeichnen), Margarethe Tiesel als seine Mutter, Branko Samarovski als Andreas schwieriger Vater, Wolfgang Hübsch als typischer Dörfler. Thomas Schubert spielt einen Polizisten der unerschütterlichen Routine, Robert Stadlober tippt das Schicksal eines Vaters mit einem kleinen Jungen an, der dringend eine neue Frau sucht. Aber mit Andrea ist das nicht so einfach – zumal, wie angedeutet, alles ganz anders kommt.
Am Ende ist man einer Menge bedauernswerter Seelen begegnet. Nun ja, so richtig lustig war Josef Hader ja nie, nicht einmal in seinen Kabarettprogrammen. Und hier ist er so richtig traurig über die Menschen.